Ausstellung
Bruno Pélassy

Bruno Pélassy with Starfish, Coco Beach, Nizza, 1997, Foto: Laura Cottingham

Bruno Pélassy and the Order of the Starfish

20.10.2023 – 14.1.2024

Ein Schnappschuss zeigt Bruno Pélassy, frisch aufgetaucht aus den blauen Tiefen von Nizzas Coco Beach, einen Seestern wie eine lebendige Brosche an der Brust tragend, als gehöre er einem geheimen maritimen Orden an. „Die verschwommene Unterscheidung zwischen Pflanze und Tier, die so offensichtlich im Meer existiert, als sei sie eine perfekte Metapher für die philosophischen Grenzen aller binären Unterscheidungen: Gut und Böse, Männlich und Weiblich, Tag und Nacht, Schwarz und Weiß“ [1] übte eine tiefe Faszination auf den Künstler aus, wie sich Laura Cottingham, Kuratorin und enge Vertraute erinnert.  Genau diese Aufweichung von Binaritäten steht im Zentrum von Pélassys künstlerischer Praxis.

Bruno Pélassy and the Order of the Starfish präsentiert die erste institutionelle Ausstellung des französischen Künstlers in Deutschland. Bruno Pélassy wurde 1966 in Vientiane, Laos, geboren und starb 2002 in Nizza an den Folgen einer AIDS-Erkrankung im Alter von 36 Jahren. Sein exzentrisches, widerständiges und zugleich überaus sinnliches Werk tritt dabei in den Austausch mit ausgewählten Kunstwerken anderer Künstler*innen. Die Gruppenausstellung präsentiert Beiträge von Marc Camille Chaimowicz, Beth Collar, Jesse Darling, Brice Dellsperger, Leonor Fini, Ull Hohn, Natacha Lesueur, Jean Painlevé & Geneviève Hamon, James Richards sowie Soshiro Matsubara, der auch die eindringliche Ausstellungsarchitektur entwickelt hat.

Pélassy war zeit seines Lebens eine schillernde und facettenreiche Figur, ein Grenzgänger, dessen Kunst sich nur bedingt kategorisieren lässt. Er malte, zeichnete, performte, schuf Skulpturen, Filme, Couture und Schmuck. Formale und spielerische Materialexzesse lassen disziplinäre Grenzen bisweilen verschwimmen, sodass seine künstlerische Arbeit kaum von seinem Herangehen an das tägliche Leben zu separieren ist. Pélassy war ein zügelloser Sammler; und es war gerade das, wofür andere keinen Gebrauch mehr zu haben schienen, was ihn am meisten anzog: Vergilbte Stoffe aus verschiedensten Ländern, Schmuck, Bücher und Spielzeuge, genauso wie Platten und alte VHS-Kassetten.

Die Techniken des Collagierens, Nähens, des Auseinandertrennens und Verbindens sind tief in seinen Arbeitsprozessen eingeschrieben und zeugen von seinem Studium als Textil- und Schmuckdesigner. Sie ermöglichten ihm, die Realität immer wieder neu an seine Bedürfnisse anzugleichen sowie Passformen und Formeln zu entwickeln, für all das, was er als nicht passend empfand. Methodisch stützte er sich dabei auf die Verbindung verschiedener Techniken, Prozesse und Materialien, die er sowohl den Bereichen der Haute Couture als auch der Secondhand-Kultur einer Wegwerf-Gesellschaft entlehnte und somit hochwertige Produktionsverfahren mit der Verwendung günstiger wie alltäglicher Materialien verband. Einfache Bleistiftzeichungen waren ebenso Teil von Pélassys Praxis wie die versierte Bearbeitung von Glas und Kristall sowie das Design von Schmuck oder reliquienartigen Objekten.

Maßgeblich beeinflusst durch eine frühe HIV-Diagnose im jungen Alter von 21 Jahren, reflektierte Pélassy in seinem Werk die ambivalente Dynamik von Krankheit, Ansteckung und Tod sowie das Verständnis des Körpers als poröse, unwägbare Entität und Teil eines tief mit seiner Umwelt verwobenen Systems. Seine Praxis kann als persönliche und politische Auseinandersetzung mit den Konventionen des Ausstellens, des Begehrens, von Gender, gesellschaftlichen Normen und Gesundheit, sowie als Appell für die Auflösung festgefahrener Binaritäten gelesen werden.

Die Gruppenschau tritt an vielen Stellen mit Pélassys Werk in den Dialog. Die eindringliche Ausstellungsarchitektur von dem japanischen Künstler Soshiro Matsubara, bestehend aus labyrinthischen Einbauten, Wandbehängen, Spiegeln, Teppichen und verschiedensten manieristisch anmutenden Keramiken und Lampen, bildet die Basis für diesen Austausch. Durch die direkte Interaktion und Gegenüberstellung der verschiedenen Werke in den Räumen wird die beharrliche Dringlichkeit und Relevanz von Pélassys Arbeit für zeitgenössische Anliegen in den Vordergrund gerückt. Im Dialog mit Pélassys Werken reflektiert auch die Gruppenpräsentation über die Formbarkeit des Körpers und seine Vergänglichkeit sowie ein versagendes politisches System, in dem Krankheit durchaus als Indikator sozialer Machtverhältnisse verstanden werden muss.

Pélassys vielgestaltiges Werk wurde in international anerkannten Einzelausstellungen gezeigt, zuletzt u.a. bei 55 Walker Street, New York (2018); Flat Time House, London und MAMCO, Genf (beide 2016) sowie bei Crédac, Ivry-sur-Seine; Passerelle Centre d’art contemporain, Brest und Air de Paris, Paris (alle 2015). Außerdem war Pélassy Teil zahlreicher Gruppenausstellungen, u.a. Exposed, Palais de Tokyo, Paris (2023), Still I Rise: Feminisms, Gender, Resistance, Nottingham Contemporary, Nottingham (2018) sowie Un nouveau festival, Centre Pompidou, Paris (2012).

 

[1] Laura Cottingham, “Remembering Bruno Pélassy”, in: “Bruno Pélassy”, Nizza: Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain, 2003, S.32 (Übersetzung).  

Trailer Bruno Pélassy and the Order of the Starfish

 

Pressestimmen

“[Pélassy] war wohl ein Experimentator, immer auf dem Sprung, gerne jäh die Richtung wechselnd. Wie seine verspielten ‘Bestioles’, die wackeln, wohin sie wollen.” Jens Hinrichsen, Tagesspiegel, 24.10.2023

“In der Hinterlassenschaft des Franzosen mischen sich Körper und Natur, Strass und Trash, Sextoys und katholische Reliquien, Mythologie und Ikonografie in lustig-ketzerischem Synkretismus. Und immer wieder ist es sein eigener, HIV-gezeichneter Körper, den er als ‘Material’ benutzt, um die Krankheit – und den rasanten Verfall – mit fröhlichem Trotz als ‘Normalzustand’ zu deklarieren.” Ingeborg Ruthe, Frankfurter Rundschau, 2.11.2023

“Der Versuch, das fliehende Leben festzuhalten, es zu schmücken und zu feiern – das ist es, was diese Kunst so ergreifend macht, so traurig und doch so schön.” Felix Müller, Berliner Morgenpost, 15.11.2023

 

Die Ausstellung wird gefördert durch: 

Mit Dank an Air de Paris

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