Ausstellung
Nezaket Ekici – Alles, was man besitzt, besitzt auch uns

Nezaket Ekici, Alles was man besitzt, besitzt uns auch, Ausstellungsansicht, Haus am Waldsee, 2015, Foto: Roman März

Nezaket Ekici

Alles, was man besitzt, besitzt auch uns

7.6. – 16.8.2015

Die Künstlerin Nezaket Ekici (*1970 Kirsehir, Türkei) bespielte im Sommer das gesamte Haus am Waldsee mit Installationen und Videodokumentationen ihrer Performances. Mit „Alles, was man besitzt, besitzt auch uns“ wurde die mehrfach ausgezeichnete, international agierende Meisterschülerin von Marina Abramović in einem ersten institutionellen Überblick in Berlin vorgestellt.

Seit knapp fünfzehn Jahren verfolgt Ekici in ihrer Arbeit performative und partizipatorische Strategien. Dabei stellt sie sich dem Bild der Frau und Künstlerin zwischen Islam und Christentum. Unweit von Ankara geboren, im engen Kreis ihrer türkischen Familie in Deutschland aufgewachsen, geht sie in allen ihren Projekten an die Grenze des physisch Möglichen: Wenn sie einen Tschador tragend, vor dem Publikum kopfüber an den Füssen hängt und laut Tagebucheinträge, Zeitungsartikel und Texte aus dem Koran vorliest („Permanent Words“, 2009), oder, wenn sie tagelang Wände, Boden, Möbel und Zimmerdecken beküsst, um ihre Wertschätzung für das Übersehene, Naheliegende, Liebgewonnene, Intime auszudrücken („Emotion in Motion“, 2000). Immer bringt sich die Künstlerin mit radikaler Hingabe, mit Körper, Herz und Seele ein. Auch, wenn sie sich über 30 Minuten lang wie ein Derwisch in einem Rosenblütenmeer um die eigene Achse in Trance dreht („Wirbelrausch“, 2008).

In anderen Arbeiten interpretiert Ekici Gemälde der europäischen Kunstgeschichte („Short but Hurting“ 2007 nach „Judith und Holofernes“, Michelangelo Caravaggio, 1598) oder nimmt Tabus und tradierte Rituale der islamischen Welt ins Visier, wenn sie sich zum Beispiel mit Justizias Augenbinde, im schwarzen Negligé und gelben Gummihandschuhen in Schweinefleisch suhlt und damit versucht religionsübergreifende Perspektiven aufzureißen („Flesh, (No Pig but Pork)“, 2011).

Die gezeigten Arbeiten standen mit den Funktionen der ehemaligen Wohnräume im Haus am Waldsee in Beziehung. So waren in der Eingangshalle Fotografien aus Ekicis Familiengeschichte zu sehen. Das ehemalige Damenzimmer trug roten Lippenstift – Kussspuren ihrer Performance „Emotion in Motion“. In einer mehrtägigen Aktion beküsste die Künstlerin im Vorfeld den ganzen Raum samt Inventar und nahm ihn damit liebevoll in Besitz. Die Dokumentation der Arbeit war als Video in der Installation zu sehen.

„Wirbelrausch“ (2008) zog in den Wintergarten ein und widmete sich dort dem Gedanken der universellen Liebe und dem Aufgehen des Körpers und des Ichs in der Natur. Diese Arbeit verwies zudem darauf, dass der Derwischtanz traditionell allein Männern vorbehalten war.

„Lifting a Secret“ (2007) war als Kaffeesalon im ehemaligen Herrenzimmer zu sehen. Hier wurde eine durch Kaffee gefärbte Wandbeschriftung aus Vaseline sichtbar. Ein türkisches Eheanbahnungsritual wurde nachvollziehbar, das die Künstlerin selbst erlebt hat. Es beruht auf der alten Tradition, dass, sobald türkische Mädchen guten Kaffee zubereiten können, sie heiratsfähig sind und die Eltern sie einem auserwählten Partner zuführen können. Im nächsten Raum schloss eine große, mit 99 Tellern gedeckte Festtafel an. Jeder Teller trug eine weiße Perle aus einem Rosenkranz. Sie stehen für 99 Gebote, Pflichten und Verbote, die in unterschiedlichen Religionen ethisch verpflichtend wirken. Am Eröffnungsabend verlas die Künstlerin die Verbote und Gebote in einer Performance. („99 Commandments”, 2013)

Zu jedem Haus gehören eine Küche und ein Teppich. In diesem Fall handelte es sich um einen Wandteppich, der neben Videodokumentationen von Performances, die Ekici im Umgang mit Früchten und Gemüse zeigten, im ehemaligen Speisezimmer gezeigt wurde. Das ornamentale Raster des Teppichs ergab sich aus einer multiplizierten Fotografie, auf der die Künstlerin während einer Performance 2011 liegend mit Tomaten im Haar wiedergegeben wurde, die sie erntete und verspeiste. („Living Ornament Carpet“, 2011/14).

Im Obergeschoss des Hauses war im ehemaligen Billardsaal eine neue Performance als Videodokumentation zu sehen, die die Künstlerin auf dem Waldsee in einem überlangen roten Kleid vorstellte, das mit feinen Wasserröhren versehen ist. Die Künstlerin verwandelte am 14.6.2015 verschmutztes Seewasser in Trinkwasser und ließ es durch die Röhren den Zuschauern am Ufer zukommen. Ein universeller Hinweis auf die wichtigste Lebensquelle überhaupt: das Wasser, das hier von einer Frau genießbar gemacht und verteilt wird.

Auf die Bedeutung des Baderituals in den antiken Kulturen wies Ekici in der nächsten Installation im ehemaligen Badezimmer des Hauses hin. „Living room“ zeigte eine Badewanne, in die eine vertikale Videoprojektion projiziert wurde. Dabei hatte die Künstlerin 2010 zehn Schauspieler in einen Wald eingeladen, um in Badewannen vor Publikum öffentlich zu baden. Über Jahrhunderte waren die meisten Badetraditionen der unterschiedlichen Religionen öffentliche Rituale und nicht intim und privat wie in unserer heutigen Gesellschaft.

Für „First Contact“ im angrenzenden ehemaligen Ankleidezimmer besuchte Ekici über mehrere Wochen hinweg Mitglieder aus dem Freundeskreis des Hauses am Waldsee, um mit ihnen zu performen. Häufig war dies die erste Begegnung mit einem kreativen Akt der Kunst. Die Künstlerin stellte in ihrer Videodokumentation die Frage nach der verändernden Wirkung der gemeinsamen künstlerischen Handlung.

Schließlich war im letzten Raum der Schau, dem ehemaligen Frühstückszimmer, eine der jüngsten Arbeiten von Nezaket Ekici zu sehen: „But All That Glitters Is Not Gold“ (2014/15). In einem überdimensionierten Goldkäfig steckt die Künstlerin in einem blauen Kleid. Durch die engen Gitterstäbe versucht sie einen der von der Decke hängenden Schlüssel zu greifen, um sich selbst (vergeblich) aus der einengenden Situation zu befreien.

Getrieben von der Neugier nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Religionen, ist Ekici bisher auf mehr Gebote als Freiheiten gestoßen, die das menschliche Miteinander über die Jahrhunderte hinweg zu regeln suchten. Und doch versucht die Künstlerin auf überzeugende Weise in ihren Arbeiten immer wieder darauf hinzuweisen, wie sehr Freiheit und Liebe unsere menschliche Existenz zusammenhalten.

Die Schau wurde durch zahlreiche Veranstaltungen wie dialogische Führungen, Live Performances, Künstlergespräch und Künstleressen abgerundet.

Es erschien ein Katalog mit einem Essay von David Elliott in Deutsch und Englisch. Verlag Walther König.

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