Corona-Tagebuch: Bettina Blohm aus New York

Corona-Tagebuch: Bettina Blohm aus New York

Foto: Atelier Bettina Blohm

Wir haben KünstlerInnen, die dem Haus am Waldsee durch Ausstellungen nahestehen, rund um die Welt gefragt, wie ihre Situation momentan aussieht.

Die deutsche Malerin Bettina Blohm (*1961) hat Anfang der 1980er Jahre an der Kunstakademie München studiert und lebt und arbeitet seit 1984 in New York. Seit 2008 unterhält sie ein zweites Atelier in Berlin. Sie hat im Haus am Waldsee, Bikini Berlin 2018 bei uns ausgestellt.

Hier lesen Sie ihr Update vom 25.5.2020:

Es ist interessant, wie sich das Gefühl für Zeit verändert hat. “Time Slippage” schrieb neulich eine Freundin, das Entgleiten der Zeit. Pläne werden aufgeschoben, aber das Warten fällt schwer und die Tage verschwimmen. Ich stehe auf, gehe ins Atelier – meistens schaffe ich es eine ganze Weile zu arbeiten bevor mich der Hunger nach einer guten Nachricht zum Computer zieht. Heute ist Memorial Day, der inoffizielle Anfang des Sommers. Zum ersten Mal werden in New York weniger als 100 Tote pro Tag gemeldet. Es sterben vor allem die Armen, die Schwarzen und die Lateinamerikaner, wieder einmal sind alle Karten gegen sie gemischt. Offiziell ist noch alles geschlossen, aber vor manchen Restaurants bilden sich kleine Menschentrauben, es gibt nicht nur Essen zum mitnehmen sondern auch Drinks. 

Ändert sich meine Malerei? Am Anfang der Krise gab es den Impuls alles mit Schwarz zu übermalen aber ich zwinge mich zur Konzentration, ich muss dieser Zeit etwas entgegensetzen. Zwei neue Bilder sind fertig, ich drehe sie zur Wand und fange ein neues an. Ich kann sie ja niemandem zeigen, nur hin und wieder poste ich eins auf Instagram. Die vielen virtuellen Atelierbesuche, die jetzt im Internet auftauchen, langweilen mich, man muss ein Kunstwerk physisch im Raum erleben, der Hand folgen können, sich seiner Aura hingeben. Aber ich höre alte Interviews mit KünstlerInnen, die mich interessieren: Lee Krasner spricht großartig artikuliert, Robert Rauschenberg langsam und selbstsicher, Alice Neel mit Witz und umwerfender Ehrlichkeit. Susan Rothenberg ist diese Woche gestorben, ihre abstrakten Pferdebilder der 70er Jahre waren für mich eine große Inspiration.

Mir wird diese Isolation mehr und mehr unerträglich. Das in schweren Zeiten so wichtige menschliche Zusammensein ist der Angst vor dem Anderen gewichen. Ich merke, wie ich in eine Depression abrutsche, aus der mich zum Glück eine deutsche Freundin rettet, die mich für ein Wochenende in Connecticut abholt. Dort gehen wir am Strand spazieren, riechen das Meer, gucken in die Weite. 

 

22.4.2020:

Es heißt, dass New York das Schlimmste überstanden hat. Täglich gibt unser Gouverneur eine Pressekonferenz. Er ist in dieser Zeit zu einem gewissen Helden geworden: ehrlich, menschlich, ein Gegenspieler zu Trump. Täglich führt er einen Kleinkrieg mit unserem Präsidenten, um Finanzhilfe, um Test-Kits, um die Klarstellung von Lügen.

Ich bin froh hier zu sein, Teil der Stadt. Irgendwie richtet man sich in diesen immergleichen Tagen ein, findet einen Rhythmus, verdrängt die Sorge um Ansteckung. Um 19 Uhr werden die Fenster geöffnet, von allen Seiten klatscht, trötet und kreischt es. Manches erinnert an die 80er Jahre, als die Stadt noch billig und leer war. Vielleicht werden viele der Leute, die jetzt so schnell aufs Land geflüchtet sind, nicht wiederkommen. Die ersten Galerien geben auf. Da wird eine riesige Welle der Konkurse, Armut und Verzweiflung heran rollen. Aber erstmal nur Tag um Tag weitermachen, mindestens bis Mitte Mai bleibt alles geschlossen.

Meine Arbeit geht im Schneckentempo vorwärts, aber immerhin, ich kann arbeiten. Normalerweise male ich mit viel “Trial and Error”, wische immer wieder ganze Passagen weg. Aber nachdem auch die Baumärkte geschlossen haben, bin ich sparsam mit Terpentin.

Überhaupt habe ich beschlossen mich in dieser Zeit keinem Druck auszusetzen, schwebe also mit einer gewissen Faulheit durch die Tage. Ich lese viel, wieder mal Sebald, dessen Beschreibungen wunderbar in die jetzige Stimmung passen.

Noch nie habe ich den Frühling so intensiv erlebt. Auf meinen langen Spaziergängen freue ich mich über das Meer von Blumen, den Optimismus der Natur, immer wieder von vorne anzufangen. Nur die Jogger nerven, die ohne Maske und Abstand an einem vorbeikeuchen. Aber selbst die scheinen friedlicher zu werden, die frenetische Aktivität, das ewige Self-Improvement lässt nach. Keine Reklame im Briefkasten, keine Spam-Telefonanrufe. Das intensive Gefühl, eine Zeitenwende zu erleben.

 

3.4.2020:

Seit drei Wochen habe ich niemanden getroffen, alle Kommunikation geht über Email oder Telefon. Ich bin daran gewöhnt viel allein zu sein, aber das hat jetzt eine ganz andere Dimension angenommen. Am Anfang gab es noch unzählige Telefongespräche „Wie geht es Dir, bist Du in New York?”, das wird jetzt weniger. Die Geschehnisse verschlagen einem die Sprache  und die Gespräche drehen sich im Kreis. Erleben tun wir sowieso nichts. Meine Außenkontakte sind auf kurze Einkäufe und lange Spaziergänge reduziert. Die Parks sind zum Glück noch offen. In der ersten Woche war draußen noch eine gewisse Leichtigkeit zu spüren: eine Pause vom Leben, zu sich kommen, mehr  Zeit mit den Kindern verbringen. Das ist jetzt einer grimmigen Verbissenheit gewichen. 

Einsamkeit und vor allem Langeweile können ja sehr gut für die Kreativität sein, aber es ist schwer den Kopf frei zu bekommen. Ich versuche meinen Arbeitsrhythmus einzuhalten, verbringe viel Zeit im Atelier.  Aber zum Malen braucht man Mut, Mut etwas Neues auszuprobieren, sich dem Ungewissen hinzugeben oder auch mal alles wegzuwischen. Und mir fehlt das Gespräch über Kunst. Neulich habe ich eine ganze Weile mit einer Künstlerfreundin darüber telefoniert, wie man ein bestimmtes Grün mischen könnte. Wir schickten uns die Farben per Email. Das war das beste Gespräch der Woche. Nachdem ich mich über Jahre gegen Social Media gewehrt habe, poste ich jetzt auf Instagram. 

Die schrecklichen Nachrichten aus New York brauche ich hier nicht zu wiederholen, in meiner Gegend in Downtown Manhattan merke ich von dem Wüten des Virus nicht viel. Es ist vor allem still, sehr viele Menschen tragen inzwischen Masken, man macht einen weiten Bogen umeinander. Krankenwagen höre ich keine. Vor Whole Foods ist immer eine lange Schlange mit weiten Abständen, sie lassen jetzt nur noch wenige Personen in den Laden. Fast alle meine Nachbarn im Haus sind noch da, hören tue ich niemanden, es ist als wenn das Haus verlassen wäre. Wir vergewissern uns via Email und kaufen auch mal für die Älteren ein. Die Jugendlichen rauchen Marihuana im Keller.

Foto: Atelier Bettina Blohm

19.3.2020: 

Der Virus traf Amerika völlig unvorbereitet. Obwohl wir seit Wochen die Ereignisse in China und dann Europa verfolgen, glaubte sich unser Präsident unverwundbar, und damit natürlich auch das ganze Land. In wenigen Tagen hat nun alles zugemacht, nacheinander Schulen, Galerien, Museen, Restaurants, Bars. Wenn möglich, wird von zuhause gearbeitet. Es wird gehortet, erst gab es keine Pasta, dann waren die Dosenbohnen weg und jetzt ist das meiste haltbare Essen ausverkauft. Um Toilettenpapier zu ergattern, muss man schon etwas gewitzter sein und die Lieferzeiten der jeweiligen Läden auskundschaften. Selbst dann gibt es nur eine Packung pro Person. Bei Amazon konnte man gestern eine Packung für $40 kaufen.

New York, diese laute, lebendige Stadt ist still. So still wie selbst an Weihnachten oder Thanksgiving nicht. Die Leute laufen wie im Trance und winken sich aus sicherer Entfernung zu. In den Tagen nach dem Attentat des 11. September rückten die Menschen zusammen – jetzt gucken sie sich argwöhnisch an, “wie nah kann ich meiner Nachbarin kommen, mit ihr im gleichen Lift fahren”? Aber die Hunde müssen auch ausgeführt werden und da das Wetter in den letzten Tagen frühlingshaft war, strömten viele in die Parks und an den Hudson. Die Warnung unseres Bürgermeisters, dass wir uns auf “shelter in place” vorbereiten sollen, sendete Schockwellen durch die einsamen Wohnungen. Wer kann, ist schon längst aufs Land oder in die Hamptons.

Ich habe das große Glück, dass ich ans Alleinsein gewöhnt bin, mein Atelier ist bei mir zuhause. Mein eigentliches Leben hat sich also nicht sehr verändert. Durch Zufall hatte ich gerade neue Leinwände und Farben bestellt und bin dadurch “versorgt”. Anstatt abends Leute zu treffen oder Ausstellungen anzusehen, wird nun telefoniert. Die meisten, die ich kenne wollen niemanden außer ihrer kleinsten Familie sehen. Aber es ist schwer sich zu konzentrieren, die Zukunft ist dunkel. Wird New York das überstehen? Die Kunstwelt? Meine nächste Ausstellung in Berlin ist verschoben, meine geplante Reise sowieso. Ich hatte kurz überlegt doch zu fahren, aber würde ich dann wieder zurückkommen? Werden wir uns vielleicht auf alte Werte besinnen, etwas zur Ruhe kommen? Wir sagen uns: Die Natur wenigstens profitiert, sie kann sich etwas erholen.

Aber auf keinen Fall krank werden, denn es gibt keine test kits, keine Schutzmasken, keine Beatmungsgeräte, keine Krankenbetten.

Bettina Blohm, Foto: Studio Bettina Blohm

Bettina Blohm, Foto: Angelika Platen

Teilen