Ausstellung
Stefan Panhans – Too much change is not enough

Stefan Panhans, Too much change is not enough, Ausstellungsansicht, Haus am Waldsee, 2014, Foto: Bernd Borchardt

Stefan Panhans

Too much change is not enough

19.1. – 23.3.2014

Seit der Jahrtausendwende befinden wir uns am Wendepunkt eines historischen Medienbruches. In solchen Zeiten – die auch frühere Jahrhunderte erlebten – entwickelt der Mensch einen radikal neuen Subjektbegriff. Am Übergang von der analogen zur digital globalisierten Medienwelt beobachtet Panhans die besonders porös gewordenen Grenzen zwischen innen und außen, zwischen privat und öffentlich. Bei der inzwischen erreichten Volltransparenz der Person konstatiert er eine paranoide Grundstruktur von Subjektivität, die er mit klarem Blick für die Zwänge und Ängste unserer Zeit herausarbeitet: ohne Schnitt, ohne Zoom, ohne Schwenk.

Anlässlich der Berlinale zeigt das Haus am Waldsee das gesamte bisherige Videowerk des 1967 im Rheinland geborenen und heute in Berlin lebenden Video- und Fotokünstlers Stefan Panhans. In einer radikalen Anordnung, die das gesamte Haus füllt, reflektiert Panhans Zustand und Wirkung digitaler Medien auf die Identitätsbildung jüngerer Generationen.

Der Künstler inszeniert seine Videosequenzen gern in bühnenartigen Räumen: Autos, Zugabteilen, Sportstudios oder auch in der nächtlichen Abgeschiedenheit eines Lagerfeuers am Strand. Sein Fokus liegt auf Texten und Körpersprachen, die den alltäglichen Irrsinn unserer Überinformationsgesellschaft poetisch und mit viel Tempo und Humor verdichten. Panhans Quellen sind neben der eigenen Wahrnehmung vor allem Blogs, Chats, Facebook und alle Medien, die auf ihren Seiten das Konsum-, Wellness- und Showbusiness bedienen. „Too much change is not enough“ ist die erste institutionelle Einzelausstellung von Stefan Panhans in Berlin.

Panhans beobachtet seine Protagonisten meist in beengten Situationen, in denen sie ganz bei sich sind, und eine gewisse Besessenheit durch Sprache oder Selbstoptimierungs-Körpertraining zum Vorschein kommt. So zählt eine junge Frau Speiseangebote auf und beendet ihren rasanten Text mit einer ausgleichenden Yogaübung, so als neutralisiere sie durch Dehnübungen die zu schnell gesprochenen Worte. In der Arbeit „40 Zimmermädchen“ von 2007 sitzt eine junge Frau kerzengerade im Politessenkostüm am Lagerfeuer und macht sich über ihren ayurvedischen Ernährungstyp Gedanken. Sie ist die Heldin eines zeitgemäßen Frauenbildes. Ihr gegenüber sitzt der Antiheld aus einem Westernmärchen, der mit zerzausten langen Haaren, einen Stock schnitzend, elektronische Botschaften aus dem Off zu erhalten scheint. Beide sind wie an unsichtbare Datennetze angeschlossen. Angesichts dieses ungleichen Paares wird dem Betrachter auf erschreckende Weise klar, wie tief er selbst bereits in der Absurdität des von außen bestimmten Lebens verstrickt ist.

Technisch bevorzugt Panhans Standkameras, vor denen sich das Geschehen lakonisch entfaltet. Es gibt keinen Schnitt, keinen Schwenk, keinen Zoom. Nur im Hintergrund rieselt der Schnee, flackert das Feuer, fährt ein Auto vorbei, drängen Menschen durch schmale Zugabteile. Jegliche Handlung scheint aufgehoben. Der übliche Schock-Charakter des schnellen Bildschnittes bleibt aus. Es entsteht eher ein »Zeitbild« als eine herkömmliche Filmnarration. Damit sind Bild und Text in ihrer Funktionsweise vertauscht: die Sprache wird zur bildgebenden Instanz. Über die Sprache fördert Panhans das Unbewusste zu Tage. Das Gesprochene ähnelt dabei dem Formen von Gedanken, dem Alogischen des Traums oder automatischen Gedankenniederschriften in unterschiedlichen Tempi: gereiht, beschleunigt, fragmentiert oder montiert.

In der Ausstellung waren Videoarbeiten aus den letzten zehn Jahren zu sehen, die zum Teil für das Haus am Waldsee neu entstanden sind.

Kuratiert von Katja Blomberg und Stefan Panhans

Der Katalog erschien auf Deutsch und Englisch, hrsg. Katja Blomberg, Verlag Walther König.

Teilen: