Ausstellung
Michael Sailstorfer – B-Seite

Michael Sailstorfer, B-Seite, Ausstellungsansicht, Haus am Waldsee, 2014, Foto: Bernd Borchardt

Michael Sailstorfer

B-Seite

5.9. – 9.11.2014

Als herausragender Bildhauer unter den jungen deutschen Zeitgenossen arbeitet Michael Sailstorfer (*1979) mit Objekten der Natur, der Technik, des urbanen Raums und der Kunstgeschichte. Gegenstände werden mit neuer Bedeutung aufgeladen. Polizeiuniformen werden zu Teppichen, Bushaltestellen zu Einzimmerwohnungen, Traktorreifen zu Wolken. „B-Seite“ zeigt frühe, unbekannte oder selten ausgestellte Arbeiten aus seinem Atelier und Privatbesitz. Darunter drei fliegende Teppiche, ein Kunstatelier das zur Bowlingbahn wurde, ein Linienbus als minimalistische Raumskulptur oder die Leuchtreklame des VEB Stern-Radios in Berlin, das zur Leuchtskulptur à la Bruce Nauman umgewertet wird.

Der Künstler entzieht den Dingen ihren ursprünglichen Zweck, zerlegt, deformiert, adaptiert und setzt sie neu zusammen. Es entstehen kraftvolle Installationen, die das Transformationspotenzial, das in der Materie steckt, sichtbar macht. Umkehr- und Umdeutungsstrategien werden sichtbar, mit denen Sailstorfer Funktionen aufgreift, zu Ende denkt und ad absurdum führt. So schafft er neue und überraschende Identitäten.

Im Jahr 2001 erwarb der Künstler in seiner niederbayerischen Heimat einige ausgediente Bushaltehäuschen, die er mit Einfachmöbeln als bewohnbare Zimmer einrichtete. Unter dem Titel „Wohnen mit Verkehrsanbindung“ veranlasst die fünfteilige Arbeit neu über das Warten, die Zeit, den Raum, das Wohnen und das Unterwegssein nachzudenken. Seit 2010 befindet sich eine dieser Bushaltestellen, Wohnen mit Verkehrsanbindung (Großkatzbach)“, im Skulpturenpark des Hauses am Waldsee. Mit seinen Wasserskulpturen unternimmt der Künstler 2007 einen Ausflug in die stille, wie schwerelos wirkende Unterwasserwelt der Karibik und installiert dort Klassiker der Bildhauerei des 20. Jh. als wären es über Bord geworfene Stücke fahrender Schiffe. Allein durch die ungewöhnliche Platzierung der Objekte werden sie zu Emotionsträgern, die überraschen und neu über Präsentation und Bewahrung von Kunstwerken im musealen Raum nachdenken lassen.

Sailstorfer steigert seine Arbeiten gern slapstickartig bis zum Absurden. Immer wieder fragt er nach unserem Verhältnis zu den Dingen, die uns wie selbstverständlich umgeben. Unter der Phantasie des Künstlers entfalten sie überraschend neue Seiten, die nicht nur zum Schmunzeln, sondern zum Anders- und Weiterdenken anregen.

In der Ausstellung im Haus am Waldsee sind Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren zu sehen. Darunter eine 2013 entstandene Konstellation mit Bohrer: Bohrköpfe in Form von verkleinerten Skulpturen, wie z.B. der Freiheitsstatue in New York, werden von einem Ausstellungsraum in den anderen getrieben. Während des Bohrvorgangs verändert sich die Gestalt der Skulptur durch den Widerstand der Wand. Diese Wand ist im Haus am Waldsee seit knapp 70 Jahren als Ausstellungswand mit hunderten von Präsentationen hervorragender Künstler aufgeladen. Ort und Vorgang verleihen der Plastik sozusagen den letzten Schliff. Zugleich wird eine kleine Veränderung am „Gen“ der Kunstgeschichte vorgenommen und nicht zuletzt führt die Arbeit einen schweren Geburtsvorgang als Metapher für das künstlerische Tun vor Augen.

Während der Arte Povera Künstler Giuseppe Penone die Borke eines Baumes entfernen ließ, um die nackte Naturschönheit der Äste sichtbar zu machen, nimmt Sailstorfer umgekehrt ein weltberühmtes Artefakt, die Freiheitsstatue, um sie wie einen Wurm durch die Wand zu treiben und damit deren anerkannte Kunstschönheit in Frage zu stellen.

Sailstorfer bezieht sich in seinen Werken immer wieder auf die jüngere und ältere Kunstgeschichte. Vor diesem Hintergrund hat er seit Anfang der 2000er Jahre ein bedeutendes Oeuvre geschaffen, das international wahrgenommen wird und eine eigenständige Position im zeitgenössischen Diskurs der Bildhauerei markiert.

Die Ausstellung wurde kuratiert von Michael Sailstorfer und Katja Blomberg.


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